Mo Yan 莫言: Nobelpreisträger für Literatur 2012


Normalerweise berichte ich lieber über ein aktuelles Thema in China, das bei uns weniger diskutiert wird. Aber wie oft kommt es schon vor, dass ein Schriftsteller mit chinesischer Staatsangehörigkeit einen Literaturnobelpreis gewinnt? Ja, tatsächlich ist es das erste Mal, auch wenn einige Berichterstatter nicht ganz zwischen Staatsangehörigkeit und Ethnie unterscheiden wollen.

Interessant zu beobachten war wie überrascht und verhalten die ersten Artikel über den diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur bei uns ausfielen. Erst nach einigen Stunden kamen dann differenziertere Berichte, die über eine kleine Collage aus Fremdzitaten und Kurzbiografie des Schriftstellers hinausgingen. Aber am Ende bleiben doch viele an der Frage hängen ob Mo Yan nun ein Staatsschriftsteller ist oder nicht. Diese Frage finde ich zwar weder besonders interessant noch originell, aber scheinbar ist es ein wichtiges Kriterium, wenn es darum geht ob ein chinesischer Schriftsteller den Literaturnobelpreis verdient oder nicht. Die Erwartung, dass er politisch Stellung nehmen soll, schwingt jeweils auch immer wieder mit.

In Interviews nach der Preisverkündung hat er tatsächlich auf zwei heikle Themen geantwortet, nämlich dass er auf eine Freilassung von Liu Xiaobo 刘晓波, dem Friedensnobelpreisträger von 2010, hoffe, und dass China und Japan doch den Streit über die Diaoyu Inseln einstellen mögen, so können auch die Fische dort ein besseres Leben führen.

Mo Yan weiss vorzüglich wie viel Meinungsfreiheit er sich erlauben darf. Schliesslich weist auch sein bekannter Künstlername uns raffiniert immer wieder darauf hin: Mo Yan, sein Künstlername, ist nicht nur phonetisch ähnlich zu seinem bürgerlichen Vornamen Moye谟业, sondern verbunden mit der Redefreiheit gar besonders aufschlussreich: das Schriftzeichen 莫 ist nämlich eine Form altchinesischer Negation, die heute vor allem in Redewendungen und Sprichwörtern gebraucht wird. kann sowohl nicht wollen, nicht dürfen, nicht können, nicht haben aber auch eine Befürchtung oder Zweifel ausdrücken. Mit dem Schriftzeichen yán 言 also reden kombiniert, lässt er uns den Modus interpretieren, wenn er nicht spricht: Manchmal kann, darf, will oder vermag er nicht zu reden, aber schreiben. Sein Nobelpreis hat ihm jedenfalls für einen kurzen Moment öffentliche Meinungsfreiheit gewährt.

Mo Yan in China

Während die wenigsten von uns ihn hier kennen, wird er seit einigen Jahren in Literatenkreisen Chinas bereits als der aussichtsreichste Kandidat für den Literaturnobelpreis in China gehandelt. Sein letztes Buch ‚Frösche’ ( 蛙) hat letztes Jahr auch den Mao-Dun-Literaturpreis gewonnen. Es behandelt darin die kontroverse Ein-Kind-Politik, die von der Thematik her auch das westliche Publikum ansprechen könnte.

Als im August dieses Jahres in Wettbüros zum ersten Mal auf Mo Yan als den Favoriten für den diesjährigen Literaturnobelpreis getippt wurde, stiegen im Land bereits die Hoffnung, dass er ihn tatsächlich gewinnen könnte. Tage vor der Preisverkündung gingen dann in einigen Ortschaften in China seine Bücher bereits wie heisse Semmeln weg und Spekulationen über einen möglichen Triumpf wurden laut. Als der Preis dann tatsächlich an Mo Yan ging, war die Euphorie im Land dann flächendeckend: Im Nu waren seine Werke ausverkauft, Fan-Artikel wurden gedruckt, eine Renovation seiner einstigen Behausung als Touristenattraktion mit einer Statue von ihm in seinem Heimatort Gaomi 高密 in Shandong wird geplant, Filmemacher interessieren sich für weitere Verfilmungen seiner Werke und schliesslich sollen seine Werke einen Platz im Mittelschulunterricht erhalten.

Obschon es auch kritische Stimmen im Land gibt, die sich fragen, wie repräsentativ seine Werke für die zeitgenössische chinesische Literatur sind, und ob er tatsächlich der beste chinesische Autor ist, dämpfen sie die allgemeine Stimmung im Land aber nicht und News rund um ihn sind weiter hoch im Kurs.

Und so komme ich auch gar nicht nach mit dem Berichten über Mo Yan. Ich nehme aber an, dass in diesem Jahr weiterhin viel um Mo Yan geschrieben und diskutiert wird, obschon er selbst dem Hype um ihn maximal einen Monat gibt. Es ist jedenfalls faszinierend zu beobachten, was der Literaturnobelpreis an Mo Yan in China auslöst!

In diesem Monat wird übrigens auch sein neustes Werk mit dem Titel ‚Unser Jing Ke’ (Wǒmen de Jīng Kē 我们的荆轲) in China erscheinen.